Zweimal Susanne – Buch antiquarisch kaufen

leichte Gebrauchsspuren

244

320 g

Schloß Bleckede a.d. Elbe

60. Tausend

Halbleinen

Deutsch

Mit einem einzigen Sprung stand Susanne das Kind auf dem Bahnsteig. Sie warf die Hände in die Höh' und jener Dame, die just vor ihr stand, um den Hals. „Mutti!"
Wie ein kleiner Schrei kam es aus dem Munde des Mädchens.
„Susanne, mein Kind, wie groß du geworden bist!" sagte Susanne Gräwenitz mit der gleichen Leidenschaftlichkeit und strich über den blonden Bubenkopf ihres Mädels.
„Komm, Susanne, laß uns gehen."
Zärtlich löste sie sich aus der Umarmung.
Mit der Rechten hängte sich Susanne das Kind in den Arm ihrer Mutter, in der Linken trug sie einen kleinen Reisekoffer. Eng aneinandergeschmiegt, jung und voll des lebendigen Lebens, gingen die beiden davon, so recht wie zwei Verschworene, welche die größten Geheimnisse mit sich tragen.
„Mutti, fünf Monate! Es war eine schreckliche Zeit."
„Ja, Kind, fünf Monate —"
„Und sieben Monate liegen noch vor mir, oh, wie habe ich mich gesehnt nach dir, Mutti, du kannst es nicht fassen, wie sehr ich mich gesehnt habe dort draußen auf dem Gut bei der Landarbeit."
Susanne das Kind sprach alles, was sie sagte, übersprudelnd schnell, wie es die Art der Fünfzehn- und Sechzehnjährigen ist. Susanne Gräwenitz klopfte der Kleinen zuversichtlich auf die Schulter, wie man einem guten Freunde ermunternd auf die Schulter schlägt, und sagte:
„Und jetzt bist du fürs erste einmal zwei Tage da. Das ist doch was, nun?"
Susanne nickte. „Ja, zwei Tage."
Hier begegnete Joachim George den beiden Frauen zum erstenmal. Er ging hinter ihnen durch die Sperre und stieg dann in seinen Wagen, der auf dem Bahnhofsplatz stand, nicht ohne noch einmal versucht zu haben, einen Blick in die Gesichter der beiden zu werfen.
Ohne aber auf ihre Umwelt zu achten, gingen Mutter und Kind schwätzend die Kurpromenade hinunter. Die Sonne, die in den letzten Augusttagen noch einmal den Sommer in das fränkische Land gezaubert hatte, stand jetzt hinter den Weinbergen, von denen das Tal, in dem der Badeort lag, umschlossen wurde. Aus den Hotels und Sanatorien riefen die Gongs zum Abendessen. Von den Bergen herab wurde das Vieh in die Stadt getrieben. Schwankend und wankend schritten die braunweißen Kühe daher, an ihren Hälsen klangen lustig die Glöckchen. Hinter
ihnen trabte eine Schafherde, blökend und einander vorwärtstreibend.
Wenn es einmal geschah, daß eins der Schafe aus der Reihe ging und auf den Fußgängersteig der Promenade hinauftrabte und Susanne das bemerkte, dann setzte sie den Koffer ab und riß sich los. Und dann gab es hier einen Klaps, und dann gab es dort einen Klaps auf den wolligen Hammelpopo.
„Tiere, Mutti", sagte Susanne begeistert, „sind das Schönste, was es gibt. Schau dahier, dieses Schäfchen, es ist nicht älter als zwei oder drei Wochen, ist es nicht entzückend? Ja, die Tiere auf unserem Gut —"
„Was du nicht alles gelernt hast, Kind!" erstaunte Mutti, als sie ihr Kind mitten in der Herde sich behaupten sah.
„Ja", prahlte Susanne, und ein Leuchten ging über ihr Gesicht, „was wir alles gelernt haben! Deine Tochter", sie machte eine ehrfürchtige Verbeugung, „Susanne Gräwenitz die Jüngere, kann auf einem Pferderücken reiten! Kannst du das? Mutti! Bitte?"
„Was du nicht sagst! Ich konnte mit fünfzehn Jahren nicht reiten. Es gibt also etwas, was meine Tochter besser kann als ihre Mutter."
Susanne das Kind kniff verliebt in den Arm ihrer Mutter. Wie ein paar Liebesleute sahen sie sich an, und wenn sie nicht über die Stufen der Steinfurth-Nchen Pension gestolpert wären, dann hätte dieses Anschaue wohl kein Ende genommen.
Mutti, du wohnst hier wundervoll! Diese weiten,....

Nachgedunkelt.
Fleckig.
Schiefgelesen.

1949

BN17241