Jahr um Jahr – Buch antiquarisch kaufen

deutliche Gebrauchsspuren

317

323 g

Hardcover/gebunden

Deutsch

Zustand siehe Bild/Bilder. Zusätzlich: Ecken und Kanten leicht bestoßen. Seiten und Buchschnitt etwas stärker abgedunkelt. Lagergeruch vorhanden. Buchrücken abgedunkelt und teils fleckig. Der Einband ist zu den Rändern hin stärker abgedunkelt.


Leseprobe

Paris

Gegen Mitternacht beendete Charles Anderson einige Notizen über eine Unterredung, die er beim Mittagessen mit einem Zeitungsverleger gehabt hatte - es war nichts von Belang, aber er glaubte Bingay in angemessener Weise auf dem laufenden halten zu sollen. Die späte Stunde und die Beendigung der Aufgabe schienen ein hinlänglicher Anlaß zu sein, sich ein wenig die Kehle anzufeuchten. Er ging daher ins Badezimmer um Wasser zu holen, und entnahm dann seiner Reisetasche eine silberne Flasche, die er immer bei so anstrengenden Ausflügen mit sich führte und ungern leer werden ließ. Er war kein großer Whiskytrinker (wie er selbst von sich sagte, wenn er Wein bestellte), aber er nahm gern ein angenehmes Schlafmittel, entweder im Bett, bevor er das Licht ausdrehte, oder während der halben Stunde, in der er im Schlafrock herumkramte und die Tagesangelegenheiten sowohl im Geiste als auch auf dem Schreibtisch säuberlich aufräumte. Er war von Natur aus ein ordnungsliebender Mensch, und lange Erfahrung hatte ihn gelehrt, sich, wenn irgend möglich, eine kleine, aber entspannende Arbeit als letzte aufzuheben, selbst wenn es nur eine Eintragung in sein Tagebuch oder eine Notiz für das Buch war, das er eines Tages schreiben wollte.
Heute jedoch gab es gar keinen Zweifel, welcher Beschäftigung er sich widmen würde. Er hatte den ganzen Tag über immer wieder mit wachsender Befriedigung daran gedacht.
Der Gedanke daran hatte ihm als Schutzpanzer in Augenblicken gedient, wo er ihn dringend brauchte. Und jetzt, da er die Flasche greifbar zur Hand hatte und die Geräusche der Stadt angenehm hörbar durch die geschlossenen und durch Vorhänge noch dichter gemachten Fenster drangen, nahm er einen Bogen des Hotelbriefpapiers und schrieb:

Lieber Gerald!

Wie Du vielleicht aus der sehr klein gedruckten Notiz in den englischen Zeitungen gesehen hast, wenn Du sie überhaupt in Deinen Ferien zur Hand nimmst, bin ich hier mit Sir Malcolm Bingay auf der Konferenz - eine in jeder Beziehung ziemlich aufreibende Arbeit, so daß ich froh bin, wenn sie vorüber ist, besonders wenn wir bei der ganzen Rederei überhaupt irgendein Übereinkommen erzielen. Inzwischen findet nächsten Donnerstag ein weit freudigeres Ereignis statt, an das Du hoffentlich ebenso denkst wie ich.
Erinnerst Du Dich (nein, ich weiß, Du warst damals noch zu jung) an jene Zeit in Parson’s Corner, als ich Dich dort besuchte - und was für einen Mordsspaß es uns allen damals machte, Pläne für Deinen siebzehnten Geburtstag zu schmieden? Jedenfalls lege ich für den Fall, daß Du an dem großen Tage noch in der Schweiz bist, eine kleine Gabe bei. Wenn ich jedoch nicht irre, wolltest Du bis dahin nach England zurückkehren. Deshalb kommt mir folgender Einfall: Warum solltest Du die Reise nicht in Paris unterbrechen? Wir könnten uns ein wenig die Stadt ansehen und uns dann endlich einmal zu einer kultivierten Mahlzeit niederlassen. Wenn Du es daher irgendwie ermöglichen kannst, teile mir bitte Tag und Stunde mit, wann Du hier eintriffst.

Viele herzliche Grüße von Deinem Vater Charles.

So, das war erledigt. Nachdem er noch den Umschlag geschrieben und den Brief an Cooks Reisebüro in Luzern adressiert hatte, trank er das Glas Whisky im Bett aus und schlief schnell ein. Er hatte einen gesegneten Schlaf, nicht etwa, weil ihn keine Sorgen plagten, sondern weil er sich tagsüber gewöhnlich müde gearbeitet und diese Arbeit so gewissenhaft erledigt hatte, daß ihm ein sanftes Ruhekissen gewiß war. In der letzten Zeit jedoch fühlte er sich manchmal zu müde, aber darüber brauchte er sich keine Gedanken zu machen, wie er sich zum Trost sagte. In den letzten Jahren hatte sein Ehrgeiz mit immer geringerem Widerstreben darauf verzichtet, die wahrscheinlich unersteigbaren Gipfel zu erklimmen, und sich daran gewöhnt, sich in dem langen, bequemen Tal zu ergehen, aus dem sie aufstiegen.

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1956

BN14057