Madhu - Die Geschichte eines Jungen aus Ceylon – Buch antiquarisch kaufen

deutliche Gebrauchsspuren

110

326 g

Hardcover/gebunden

Deutsch

Zustand siehe Bild. Zusätzlich: Ecken und Kanten bestoßen. Seiten und Buchschnitt altersbedingt kaum abgedunkelt. Lagergeruch vorhanden. Einband teils schmutzig. Buchschnitt oben Schmutzfleck.


Leseprobe:

Mit einem Schlag war Madhu hellwach. Er riß die Augen auf. Ringsum war tiefe Dunkelheit. Er wunderte sich darüber. Wenn er sonst aufwachte, sickerte bereits das Licht des Morgens durch die Ritzen der Hütte. Nun, es war ja auch nicht ein gewöhnliches Aufwachen, nicht dieses sanfte Herübergleiten aus der Nacht in den Tag. Er wußte, irgend etwas hatte ihn aus dem Schlaf gerissen, etwas Ungewohntes, Bedrohliches.
Madhu lag ganz still. Ihm war, als hinge noch der Nachhall eines Geräusches in der Luft. Er strengte seine Ohren an. Aber da war nichts, nur das leise Rauschen des Windes in den Blättern der Bananenstauden draußen vor der Hütte.
Der Junge hielt den Atem an. Er hätte schwören können, daß es ein Geräusch war, das ihn mitten in der Nacht geweckt hatte. Wie spät mochte es sein? Zwei Uhr? Drei Uhr? Madhu besaß keine Uhr. Er brauchte auch keine. Wenn die Sonne über die breite Krone des Affenbrotbaums hinaufstieg, begann der Tag. Wenn sie senkrecht über dem roten Felsen von Sigiriya stand, war es Mittag. Wenn sie wie eine riesige Blutorange hinter den grünen Kuppen der Berge von Welawata versank, kam bald die Nacht. Das wußte Madhu auch ohne Uhr, und mehr brauchte er nicht zu wissen.
Allerdings jetzt, in diesem Augenblick, da er allein im Dunkel seiner Hütte lag, hätte er gern gewußt, wie lange er noch warten mußte, bis es hell werden würde.
»Ob ich einmal nachsehe?« dachte er. »Vielleicht zeigt der Himmel schon einen schmalen blassen Streifen über den Bäumen im Osten.«
Er stützte sich auf die Ellbogen hoch. Die geflochtene Matte unter ihm knisterte, und das flache Holzgestell, auf das sie gespannt war, ächzte.
Dann stand er auf und tappte zum Ausgang. Seine nackten Sohlen klatschten auf dem festgestampften Boden. Er schob das Bastgeflecht zur Seite, das in der Türöffnung hing. Er mußte sich ein wenig bücken, um vor die Hütte treten zu können. Die Luft war weich und warm, er spürte sie auf seiner bloßen Haut.
Ein Blick nach links — kein Zeichen, daß es bald Tag werden würde. Über dem dürren Affenbrotbaum funkelten noch die Sterne im tiefdunklen Himmel. Madhu wandte sich um.
In diesem Augenblick zerriß ein Knall die Stille. Der Widerhall fing sich in der Lichtung vor der Hütte und hing eine Weile in der Luft. Er dröhnte Madhu noch in den Ohren, als er schon verklungen war. Genau wie vorhin. Jetzt wußte der Junge endlich, was ihn geweckt hatte: Es war ein Schuß gewesen.
Eine Sekunde lang stand Madhu wie erstarrt. Ihm war, als streiche eine nasse, kalte Hand über seinen Rücken. Er fröstelte, trotz der Wärme der Nacht.
Erst der nächste Schuß brachte Leben in ihn. Wieder rollte der Nachhall durchs Tal herauf, genau auf ihn zu. Es klang wie das dumpfe Grollen nach einem heftigen Donnerschlag.

1970

BN8017